Dick: Der Ruf nach mehr Tarifzwang durch den Gesetzgeber beschädigt das Prinzip der Tarifautonomie
Die Unternehmer Baden-Württemberg (UBW) haben die Berechnungen des DGB im Land zu Einnahmeverlusten des Staates und der Beitragskassen durch angebliche Tarifflucht als „absurd“ zurückgewiesen. Die Rechnung unterstelle, dass eine hundertprozentige Tarifbindung in allen Wirtschaftsbereichen ohne Folgen für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung möglich sei. „Das ist eine Milchmädchenrechnung“, sagte UBW-Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick am Donnerstag in Stuttgart: „Und der Begriff der ‚Tarifflucht‘ unterstellt Unternehmern, die meist aus gut nachvollziehbaren Gründen sich nicht an Tarifverträge binden wollen, niedere Motive. Damit zielt der Gewerkschaftsbund weit unter die Gürtellinie.“
Das Grundgesetz schütze in Artikel 9 nicht nur die sogenannte Tarifautonomie, also das Recht von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, über Tarifverträge Arbeitsbedingungen selbst zu regeln. „Dieser Schutz gilt genauso für die negative Koalitionsfreiheit, also das Recht, genau dies nicht zu tun“, sagte Dick. Nur starke Gewerkschaften und Verbände, die eine große Zahl von Mitgliedern vertreten, hätten die notwendige Legitimation, die Arbeitsbedingungen in der jeweiligen Branche einheitlich zu regeln. „Diese Stärke erlangt man, wenn man ein Produkt, also Tarifverträge, anbietet, die für beide Partner attraktiv sind. Genau da liegt aber vielfach das Problem“, so der UBW-Hauptgeschäftsführer.
Wenn Tarifverträge immer mehr Unternehmen regelmäßig überforderten, sei die Abwendung von einer Tarifbindung die logische Konsequenz, so Dick: „Das ist aber ein rationaler Vorgang – und keine irrationale Flucht.“ Zudem sei diese Abwendung ja nicht nur auf der Arbeitgeberseite zu beobachten. Allein in den letzten 20 Jahren hätten die DGB-Gewerkschaften knapp ein Viertel ihrer Mitglieder verloren, nur noch jeder siebte Beschäftigte sei gewerkschaftlich organisiert: „Statt nach dem Gesetzgeber zu rufen, sollten die Gewerkschaften darüber nachdenken, ob man die Interessen der eigenen Klientel noch angemessen vertritt.“
Die wiederholte Forderung an die Politik, durch mehr oder weniger starken Tarifzwang die Tarifbindung zu erhöhen, laufe letztlich auch nicht auf die behauptete Stärkung der Tarifautonomie hinaus, kritisierte der UBW-Vertreter: „Das Gegenteil ist der Fall: Wenn die Politik alles regelt, entzieht sie den Sozial- und Tarifpartnern ihre Daseinsgrundlage. Ja, es ist manchmal mühselig, Kompromisse zu finden und Tarifbedingungen zu gestalten, die für alle Beteiligten attraktiv sind und Vorteile bringen. Aber das ist allemal lohnender, als von der Politik seine Selbstabschaffung zu fordern.“