Unternehmer-Boss Oliver Barta geht im Doppelinterview hart mit der Bundesregierung ins Gericht. DGB-Vorsitzender Kai Burmeister fordert dagegen höhere Löhne und mehr Schulden.
Die Lage ist ernst und es besteht dringender Handlungsbebarf. Soweit sind sich Oliver Barta, Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW), und Kai Burmeister, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Südwesten, einig. Bei den Mitteln und Wegen gibt es jedoch erhebliche Unterschiede, wie aus einem Streitgespräch auf Schwäbische.de hervorgeht.
Herr Barta, man hört inzwischen immer mehr von Kurzarbeit und sogar von Jobabbau. Kommt das in den kommenden Monaten auf uns zu?
Barta: Die Rezession ist immer mehr greifbar. Die Auftragseingänge gehen zurück. Auch die Beratungen bei der Kurzarbeit nehmen deutlich zu. Die Situation in den Betrieben ist angespannt. Und im ersten Quartal 2024 sieht es kein Stück besser aus. Wir werden jetzt zusammenrücken und schauen müssen, dass wir gut durch die Rezession durchkommen und die Weichen für die Zukunft richtig stellen. Wir befinden uns gerade in einem Zeitfenster, in dem sich entscheidet, wie es mit dem Standort Deutschland und mit Baden-Württemberg weitergeht ‐ also ob wir global konkurrenzfähig bleiben.
Burmeister: Das kann ich bestätigen. Auch viele Betriebsräte machen sich wegen der rückläufigen Auftragseingänge Sorgen. Es ist deutlich spürbar, dass die konjunkturellen Sorgen zunehmen. Gerade im exportorientierten Baden-Württemberg sehen wir, dass die Unsicherheiten zunehmen. Wir merken aber auch, dass die staatlichen Konsumausgaben zurückgefahren werden. Der Staat schafft sich die Wirtschaftskrise auch ein bisschen selbst.
Neben der konjunkturellen Lage gibt es auch gewaltige strukturelle Veränderungen ‐ gerade in der Industrie. Wie dramatisch ist die Situation?
Burmeister: China und die USA schlafen nicht. Wir hier in Baden-Württemberg haben nach wie vor eine starke Industrie. Der Strukturwandel kann bewältigt werden, wenn wir aus der Automobilindustrie eine Mobilitätsindustrie machen und wenn wir es schaffen, den Klimawandel mit den notwendigen Umwelttechnologien einzugrenzen. Da sehe ich durchaus Chancen in Baden-Württemberg ‐ auch für den Export.
Die Gesundheitswirtschaft ist ebenfalls sehr stark im Land, auch das Handwerk. Und es gibt einen großen Bedarf an sozialen Dienstleistungen und an Bildung. Alles Themen für wirtschaftliche Erfolgsgeschichten. Die Basis ist da. Wenn wir die Weichen richtig stellen, dann wird Baden-Württemberg auch 2030 ein wirtschaftlich starkes Land mit guten Arbeitsplätzen sein. Dafür müssen wir uns aber anstrengen.
Ist dieser Optimismus auch für die Zulieferindustrie angebracht? Für einige Unternehmen sieht es derzeit ja sehr schwierig aus.
Barta: Ich bin gegen Schwarzmalerei. Die Unternehmen in Baden-Württemberg sind stark genug, um die Transformation erfolgreich zu gestalten und zu bewältigen ‐ aber das wird ein ganz steiniger Weg. Der Reformbedarf in unserem Land ist enorm. In der kommenden Zeit werden die Bäume daher nicht in den Himmel wachsen. Bei den Unternehmen vor Ort nehme ich eine sehr starke Innovationskraft und ein hohes Engagement wahr, diese Transformation hin zur Klimaneutralität zu meistern. Das, was mir große Sorgen bereitet, ist aber das Umfeld.
Das heißt?
Barta: Wir haben eine geopolitische Lage, die so angespannt ist, wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Das zeigen die zwei Kriege in der Ukraine und in Nahost ‐ das hat aber auch etwas zu tun mit der Situation in den USA und in China. Leider haben wir eine Politik in Deutschland, die es den Unternehmen nicht gerade einfach macht ‐ ob wir jetzt über die zu hohen Energiepreise sprechen oder auch die immer noch unzureichende Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften. Die demografische Lage ist sehr herausfordernd.
Die Unternehmen haben die Kraft und sind auch sehr innovativ ‐ aber man darf ihnen nicht immer mehr Last um den Hals hängen. Es drohen Verlagerungen, weil das Investitionsumfeld in vielen anderen Ländern schlicht attraktiver ist. Und eines muss uns klar sein: Wer einmal abgewandert ist, wird mit seiner Produktion nicht wieder zurückkehren.
Beim Thema Energie ‐ reichen da die jüngsten Beschlüsse oder plädieren Sie weiter für einen Industriestrompreis?
Barta: Die angekündigte Steuerreduzierung im Rahmen des Strompreispakets ist ein erster Schritt, den will ich auch gar nicht schlechtreden. Aber selbst mit der reduzierten Steuer sind wir noch sehr weit weg von den Strompreisen in anderen Ländern. Das heißt, wir brauchen nach wie vor einen Brückenstrompreis, der es uns ermöglicht, die Transformation zu schaffen, bis die Erneuerbaren flächendeckend den Energiebedarf decken können. Hier reicht die angekündigte Steuersenkung nicht aus. Der Luxusstrompreis, den wir hier in Deutschland zahlen, nimmt uns schlichtweg das Geld für die notwendigen Investitionen, die wir für die Transformation benötigen. Die Unternehmen brauchen eine weitere Entlastung beim Strom ‐ das gilt im Übrigen nicht nur für Großunternehmen, sondern auch für viele kleinere Betriebe, die energieintensiv unterwegs sind und im internationalen Wettbewerb stehen.
Burmeister: Wir haben tatsächlich ein Wettbewerbsproblem rund um die Energiepreise. Wir müssen die erneuerbaren Energien viel schneller ausbauen, denn das werden die billigsten Energieträger sein. Da brauchen wir deutlich mehr Tempo und mehr Fläche ‐ gerade in Baden-Württemberg. Wir Gewerkschaften setzen uns schon sehr lange für einen Industriestrompreis ein, um Abwanderungen von Unternehmen zu verhindern. Gleichzeitig müssen wir aber auch die Menschen unterstützen, die ebenfalls unter steigenden Kosten und hohen Energiepreisen leiden.
Und wie bezahlen wir das alles?
Burmeister: Wir müssen ganz klar über die Finanzierung wichtiger Zukunftsfragen sprechen. Ein Weg ist, die Schuldenbremse zu lockern, denn diese ist vor allem eine Zukunftsbremse.
Barta: Das sehe ich anders. Die Schuldenbremse ist grundsätzlich keine Zukunftsbremse ‐ auch, wenn wir hier nicht dogmatisch sind. Wenn wir ausgeben, was wir nicht haben, belastet dies folgende Regierungen und damit auch die nächste Generation. Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Finanzierung der Energiewende war eine regelrechte Klatsche für die Ampel-Koalition. Das sind finanzpolitische Taschenspielertricks, derer sich die Regierung bedient.
Man hält an Dogmen fest und glaubt dann, dass der Strom trotzdem zu einem vertretbaren Preis verfügbar ist. Man kann mit Blick auf die Energieversorgung nicht Kernkraftwerke abschalten, ohne ausreichend Windräder und Gaskraftwerke am Netz zu haben. Und wenn dann wegen geopolitischer Konflikte ‐ Stichwort russischer Krieg gegen die Ukraine ‐ noch Gaslieferungen wegfallen, erhöht das die Probleme massiv.
Das heißt?
Barta: Jetzt muss klar und offen diskutiert werden, welche Dogmen wir nun über Bord werfen und mit welchen Prioritäten die Wirtschaft umgebaut werden soll. Die jetzige Regierung verfängt sich in zweifelhaften Kompromissen. Und wenn ich dann von Kanzler Scholz höre, er sei stolz darauf, das Urteil des Verfassungsgerichts zu achten, bekomme ich als Staatsbürger und als Jurist eine Gänsehaut. Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit.
Sind Sie zuversichtlich, dass die Politik wieder pragmatischer wird, dass Dogmen über Bord geworfen werden?
Barta: Ich habe schon ein wenig Hoffnung. Denn die Zäsur des Bundesverfassungsgerichts zwingt die Politik dazu, nun ganz klar zu priorisieren. Die Schuldenbremse ist sehr eng gefasst worden, sie lässt kaum Spielraum. Nun müssen wir richtig priorisieren und den Unternehmen zugleich die Zeit lassen, die notwendige Transformation zu durchlaufen. Den Weg hin zu den Erneuerbaren müssen wir gehen ‐ aber langsam und kontinuierlich. Dazu brauchen wir einen deutlichen Bürokratieabbau. Da tun sich mit der Entlastungsallianz in Baden-Württemberg erste Optionen auf.
Aber wo sollen wir denn einsparen, wenn die Verschuldung nicht steigen darf?
Barta: Die Ampel-Regierung muss ihren Haushalt so priorisieren, dass sich die Unternehmen entwickeln können und zugleich unser Grundverständnis des Sozialstaats nicht aufgekündigt wird. Wirtschaftliche Stärke muss wieder als Basis dafür gesehen werden, dass unsere Gesellschaft zusammenbleibt.
Burmeister: Der Staat muss seine Ausgaben sinnvoll erhöhen. Wir können Zukunft nicht mit Sparpolitik erreichen. Für gute Bildung und eine moderne Infrastruktur Kredite aufzunehmen, ist im Sinne der nachkommenden Generationen. Wir müssen auch darüber reden, die Einnahmesituation des Staates zu verbessern ‐ etwa durch eine Abgabe auf sehr große Vermögen und eine höhere Erbschaftssteuer. Nichts zu tun schließe ich aus. Investitionen bedeuten mehr Verschuldung ‐ aber sie schaffen vor allem Zukunft. Wir brauchen eher mehr Tempo statt weniger ‐ auch bei den erneuerbaren Energien.
Eine enorme Herausforderung für die Wirtschaft ist der Fachkräftemangel. Haben das die Gewerkschaften schon realisiert, ist der Ernst der Lage erkannt? Bei der IG Metall und Co. wird ja ziemlich viel von Arbeitszeitreduzierung und einer Vier-Tage-Woche geredet.
Burmeister: Wir brauchen Arbeitszeiten, die zum Leben passen. Mit diesen Forderungen tragen wir dem Wunsch der Menschen Rechnung, dass sie Arbeit und die Betreuung ihrer Kinder oder auch von pflegebedürftigen Angehörigen vereinbaren können. Unsere Arbeitszeitvorstellungen sind die Antwort auf den Fachkräftemangel. Der Fachkräftemangel ist für Beschäftigte und uns Gewerkschaften eine Chance, gute Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Wir wollen uns mit den Unternehmen gemeinsam auf den Weg machen, die das auch so sehen. Und Arbeit darf nicht billig sein wie Dreck.
Wie sehen das die Arbeitgeber, Herr Barta? Wenn Vollzeitkräfte ihre Arbeitszeit reduzieren, sinkt das Angebot an Arbeitskraft ja weiter.
Barta: Die Forderungen mancher Gewerkschaften gehen völlig quer und sind absurd. Das würde den Arbeitskräftemangel nochmals manifestieren ‐ acht bis neun Prozent der Beschäftigung würden plötzlich fehlen. Dass wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern müssen, unterschreibe ich dagegen. Hier haben wir bei der Reform des Arbeitsgesetzes zeitgemäße Vorschläge gemacht, die jedoch von Arbeitsminister Hubertus Heil schlicht ignoriert worden sind.
Burmeister: Gute Arbeitszeitmodelle müssen es schaffen, die Wünsche der Beschäftigten zu berücksichtigen, und zugleich wirtschaftlich vertretbar sein. Da haben wir eine gemeinsame Aufgabe zusammen mit den Arbeitgebern. Wir müssen es auch schaffen, mehr Jugendliche in eine Ausbildung zu bekommen, Mitarbeiter besser zu qualifizieren und auch mehr Teilzeitkräfte in Vollzeit zu bekommen.
Wie können wir mehr Bürgergeld-Empfänger in Jobs bekommen? Oder ist die Transferzahlung inzwischen so lukrativ, dass sich Arbeit kaum noch loht? Das hört man ja immer wieder.
Barta: Man kann schon die Frage stellen, welche Prioritäten der Staat mit seinen Sozialleistungen setzt. Sind wir hier in Art und Umfang noch richtig positioniert? Da kann man sicherlich seine Zweifel haben.
Burmeister: Der Sozialstaat in Deutschland ist nicht zu stark ausgebaut. Allerdings gibt aber immer noch zu viele Menschen, die zu wenig verdienen. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen, die in Niedriglohnverhältnissen festhängen, da rauskommen. Die Branchen, die nicht gut bezahlen, werden ohnehin Probleme haben, Mitarbeiter zu bekommen.
Der Fachkräftemangel soll auch durch vermehrte Einwanderung bekämpft werden. Nun hört man häufig, Deutschland ist nicht sehr attraktiv als Einwanderungsland für Topkräfte. Nimmt das die Wirtschaft auch so wahr, Herr Barta?
Barta: Die Attraktivität Deutschlands für Fachkräfte und Spezialisten kann in der Tat noch deutlich gesteigert werden. Wenn man sieht, dass sich IT-Experten und Ingenieure tagelang in einer Schlange vor der Ausländerbehörde anstellen müssen, nur um ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, dann haben wir absurde Verhältnisse. Das ist nicht zu ertragen. Ich verstehe da auch nicht, dass Behörden ihr Personal nicht umschichten können, um das zu verbessern. Die Verwaltungsprozesse müssen viel einfacher und schneller werden. Wir benötigen dringend Fachkräfte und stehen dabei in einem sehr intensiven Wettbewerb mit anderen Ländern. Bürokratie und Infrastruktur müssen viel besser werden. Außerdem müssen wir die Menschen, die schon im Land sind, schneller in Arbeit bringen. Da geht es mit den aktuellen Gesetzesänderungen inzwischen erfreulicherweise voran. Aber es muss noch deutlich besser werden. Jeder, der da ist, sollte schnellstmöglich arbeiten können. Es gibt schließlich nichts integrierenderes als Arbeit. Hier sollte es viel weniger Beschränkungen geben.
Burmeister: Arbeit ist tatsächlich eine Erfolgsgeschichte für die Integration. Wir Gewerkschaften bewerten die Zuwanderung von Fachkräften positiv, sehen aber auch die Sorgen der Beschäftigten im Land. Wir sorgen dafür, dass im Land niemand verloren geht.
Die Herausforderungen sind enorm. Herr Barta, was müssen wir in den kommenden fünf Jahren dringend anpacken, um den Standort Baden-Württemberg zukunftsfest zu machen?
Barta: Wir müssen den Unternehmen den Spielraum, geben, die Transformation mit eigenen Innovationen und Investitionen zu meistern. Unser Anspruch und Ziel muss es sein, bei den Innovationen dauerhaft in der Champions League zu spielen. Das ist der Schlüssel für Wachstum und Zukunft. Dazu braucht es wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen ‐ insbesondere bei der Energie. Wir brauchen auch einen funktionierenden Verwaltungsapparat. Die Bürokratie muss jetzt endlich abgebaut werden. Und wir müssen den Fachkräftemangel in den Griff bekommen. Das heißt, Migration muss funktionieren und die Bildung muss besser werden. Dann können wir auch nach vorne kommen. Daneben ist es ganz entscheidend, die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland stabil zu bekommen und die Tarifverträge gemeinsame mit unserem Sozialpartner attraktiv und zeitgemäß zu gestalten.
Herr Burmeister, was sind aus Ihrer Sicht die Gefahren in den kommenden Jahren und was stimmt Sie positiv?
Burmeister: Positiv stimmt mich, wenn wir das Erfolgsmodell einer starken Sozialpartnerschaft fortschreiben. Mehr Tarifbindung ist der Garant für gute Arbeitsbedingungen und gibt den Menschen Sicherheit im Wandel. Eine große Gefahr wäre, wenn die Politik nur noch streitet und sich eine Partei auf Kosten der anderen profilieren will. Was wir jetzt brauchen, ist die Erkenntnis, dass in diesem Land tatsächlich viel auf dem Spiel steht ‐ was wirtschaftliche Kraft und Arbeitsplätze angeht. Wir müssen das Bildungssystem verbessern. Wir müssen die Transformation der Wirtschaft so hinbekommen, dass kein Unternehmen verlagert, dass die neuen Produkte hier produziert werden. Und wir müssen endlich darüber reden, wie wir die Gerechtigkeitslücke im Land schließen können ‐ damit am Ende nicht die Rechtspopulisten gewinnen.
Schaffen wir das?
Burmeister: Ja, das schaffen wir.
Quelle: https://www.schwaebische.de/wirtschaft/streitgespraech-interview-oliver-barta-unternehmer-kai-burmeister-gewerkschaft-2071988

