Arbeitszeiten / 11. April 2023

Arbeitszeiten, die zum Leben passen – für ein modernes Arbeitszeitgesetz!

Das deutsche Arbeitszeitgesetz regelt Grundsätzliches zur Arbeitszeit wie Dauer der Arbeit, Pausen und Ruhezeiten.

Viele gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeit stammen jedoch aus einer völlig anderen Zeit. Einer Zeit, in der nicht nur in den Produktionsbereichen, sondern auch in den Büros nach einem festen Zeitschema gearbeitet wurde. Begriffe wie mobiles Arbeiten, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch globale Zusammenarbeit in verschiedenen Zeitzonen standen da noch nicht im Mittelpunkt.

Nun fühlt sich die Bundesregierung durch wegweisende Urteile des EuGH und des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung aufgefordert, das Thema Arbeitszeit gesetzgeberisch anzugehen. Wir fordern die Bundesregierung auf, einerseits bei der gerichtlich eingeforderten Arbeitszeiterfassung nicht übers Ziel hinauszuschießen, auch weiterhin moderne Formen der Arbeit zu ermöglichen, andererseits aber auch, das aktuelle Arbeitszeitgesetz grundlegend an die heutige moderne Arbeitswelt anzupassen. Dabei geht es nicht darum, dass Beschäftigte mehr oder länger arbeiten sollen, sondern wie flexibel man die Arbeitszeit verteilen kann. Davon würden gleichermaßen Arbeitgeber wie auch Beschäftigte profitieren.

Aktuell bleibt das deutsche Arbeitszeitgesetz weit hinter den Möglichkeiten zurück, die die europäische Arbeitszeitrichtlinie bietet. Andere Mitgliedsstaaten sind hier weiter und haben die Umsetzungs- und Regelungsspielräume im Interesse der Arbeitgeber und Beschäftigten deutlich besser genutzt, wie etwa Schweden, Italien oder Österreich.

Regelungen zur Arbeitszeiterfassung

Was bisher gilt

Arbeitszeit

Das deutsche Arbeitszeitgesetz begrenzt die tägliche Arbeitszeit grundsätzlich auf 8 Stunden. Da auch der Samstag als Arbeitstag gilt, ergibt dies pro Woche 48 Stunden. Die Arbeitszeit kann vorübergehend auch auf 10 Stunden täglich – also 60 Wochenstunden – verlängert werden, wenn dafür innerhalb eines halben Jahres ein Ausgleich stattfindet – mehr geht an einem Tag aber nicht.

Die EU-Arbeitszeitrichtlinie hingegen regelt keine tägliche Höchstarbeitszeit. Sie begrenzt lediglich die wöchentliche Arbeitszeit auf im Durchschnitt 48 Stunden.

Ruhezeit und Pausen

Das deutsche Arbeitszeitgesetz schreibt eine tägliche Ruhezeit von ununterbrochen 11 Stunden sowie nach Arbeitszeit gestaffelte Pausenzeiten vor.

Die EU-Arbeitszeitrichtlinie sieht zwar ebenfalls eine tägliche Ruhezeit von ununterbrochen 11 Stunden vor. Jedoch gibt sie den nationalen Gesetzgebern den Spielraum, für bestimmte Bereiche davon abzuweichen. Der deutsche Gesetzgeber könnte den Tarifvertragsparteien nach der europäischen Arbeitszeitrichtlinie sogar umfassende Abweichungsmöglichkeiten einräumen.

Was wir benötigen

Das Arbeitszeitgesetz sollte endlich an die Realität der Lebenswelten der Menschen angepasst werden. Das starre Korsett des deutschen Arbeitszeitgesetzes muss gelockert werden. Die Spielräume der EU-Arbeitszeitrichtlinie insbesondere hinsichtlich Höchstarbeitszeit und Ruhezeit sollten genutzt werden. Das bedeutet:

Arbeitszeit

Die tägliche Obergrenze von 10 Stunden muss weg. Die EU-Richtlinie gibt nur eine wöchentliche aber keine tägliche Höchstarbeitszeit vor. Ein Wegfall der täglichen Höchstarbeitszeit bedeutet nicht mehr Arbeit, sondern mehr Flexibilität – für Beschäftigte wie für Arbeitgeber Die wöchentliche Obergrenze der EU-Arbeitszeitrichtlinie stellt dabei zum Schutz der Beschäftigten sicher, dass ein temporärer erhöhter Arbeitsanfall durch weniger Arbeit zu ei-nem späteren Zeitpunkt auch wieder ausgeglichen wird.

Der aufwändige Laborversuch

Die Mitarbeiterin ist Chemikerin in einem Pharmaunternehmen. Um 9 Uhr morgens hat sie ihre Tätigkeit aufgenommen und im Labor eine aufwendige Versuchsreihe begonnen. Dazu sind umfangreiche Vorbereitungen erforderlich. Die Versuchsreihe verläuft vielversprechend und wird von der Mitarbeiterin den Tag über intensiv betreut. Am Abend steht die Versuchsreihe kurz vor dem Abschluss.

Nach derzeit geltender Rechtslage müsste die Mitarbeiterin die Versuchsreihe trotzdem nach zehnstündiger Arbeit abbrechen und am nächsten Tag wieder neu beginnen. Könnte sie demgegenüber ihre Arbeitszeit im Laufe der Woche flexibel verteilen, könnte sie die Versuchsreihe abschließen und dafür als Ausgleich an einem anderen Tag der Woche entsprechend kürzer arbeiten.

Kurzfristige Konferenz am Abend

Der Mitarbeiter ist Controller bei einem global agierenden Konzern. Nachdem er wie üblich um 8 Uhr seine Arbeit aufgenommen hat, stellt sich am späten Nachmittag kurzfristig heraus, dass um 18 Uhr eine Telefonkonferenz mit einem Standort in den USA (Zeitverschiebung) angesetzt wird, die eine Stunde dauern wird.

Nach derzeit geltender Rechtslage dürfte der Mitarbeiter nicht mehr an dieser Telefonkonferenz teilnehmen, da er die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden überschreiten würde. Könnte er demgegenüber seine Arbeitszeit im Laufe der Woche flexibel verteilen, könnte er trotz Erreichen der Zehn-Stunden-Grenze an diesem Tag an der Telefonkonferenz teilnehmen und als Ausgleich an einem anderen Tag der Woche entsprechend kürzer arbeiten.

 

Späte Gäste im Restaurant

Eine Servicekraft arbeitet in einem Gastronomiebetrieb, der mittags bis abends durchgehend geöffnet hat. Ihre Arbeitszeit beginnt um 11:30 Uhr. Bei einer Stunde Pause bedeutet dies: Sie darf maximal bis 22:30 Uhr arbeiten (10 Stunden Höchstarbeitszeit).

Die letzten Gäste gehen aber erst kurz vor Mitternacht. Der Gastwirt müsste also für die verbleibenden 1,5 Stunden eine zweite Arbeitsschicht einbestellen – was im Hinblick auf den Fachkräftemangel nur schwer möglich ist. Auch die Servicekraft würde an solchen Tagen gerne länger arbeiten, dafür an anderen Tagen (mehr oder ganz) frei haben.

Ruhezeit

Die im deutschen Arbeitszeitgesetz verankerte ununterbrochene elfstündige Ruhezeit passt im Zusammenhang mit flexiblen Arbeitszeitmodellen nicht mehr zum modernen beruflichen Arbeitsalltag der Beschäftigten. Insbesondere dann, wenn Beschäftigte z.B. bei mobiler Arbeit die Lage ihrer Arbeitszeit selbst bestimmen dürfen und sich dabei Phasen von Arbeit und Privatem (etwa Kinderbetreuung) abwechseln, engt die ununterbrochene Elf-Stunden-Vorgabe die Flexibilität unnötig ein.

Die EU-Arbeitszeitrichtlinie gibt dem nationalen Gesetzgeber den Spielraum, von den Vorgaben der elfstündigen Ruhezeit abzuweichen, soweit die Arbeitszeit aufgrund der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/oder nicht im Voraus festgelegt werden kann. Mit dieser Maßgabe kann der deutsche Gesetzgeber entsprechende Ausnahmen für Beschäftigte schaffen, die Lage und Dauer ihrer Arbeitszeit frei bestimmen können.

Die Kita macht früh Schluss

Ein Ehepaar hat zwei kleine Kinder, die tagsüber in die Kita gehen. Die Kita macht aber bereits um 15 Uhr zu, z.B. der Vater muss also bereits um 14:30 Uhr zur Kita fahren, um die Kleinen abzuholen. Anschließend verbringt der Vater den restlichen Nachmittag mit den Kindern, währenddessen seine Ehefrau arbeitet.

Um 21 Uhr setzt sich der Vater noch mal ans Laptop, bearbeitet ein paar Mails und Themen, macht um 22:30 Uhr Schluss – und darf dann auch erst um 9:30 Uhr wieder ins Büro (elf Stunden ununterbrochene Ruhezeit), obwohl die Kinder bereits um 07:30 Uhr aus dem Haus sind und er gerne zu diesem Zeitpunkt schon wieder mit der Arbeit beginnen würde. Ein flexibleres Arbeitszeitgesetz würde hier also helfen, Familie/Kinder und Vollzeitbeschäftigung besser unter einen Hut zu bringen.

Joggen bei Tag, Videokonferenz am Abend

Frau Maier arbeitet als Entwicklerin in einem globalen Entwicklungsteam. Bis zum frühen Nachmittag arbeitet sie im Büro an ihren Projekten. Sie macht dann Schluss, geht einkaufen, dann eine längere Runde joggen.

Um 20:30 Uhr hat sie dann eine Videokonferenz mit ihren Kollegen in den USA (Zeitverschiebung), die bis 22:30 Uhr dauert. Auch sie darf am nächsten Morgen erst wieder um 9:30 Uhr ins Büro. Ein flexibleres Arbeitszeitgesetz würde hier also jeweils helfen, Arbeitszeiten mit den Anforderungen globaler und flexibler Arbeit besser unter einen Hut zu bringen.

Zudem lässt die EU-Arbeitszeitrichtlinie eine sogenannte Tariföffnungsklausel zu, mit der weitere Ausnahmen von der ununterbrochenen elfstündigen Ruhezeit geregelt werden kön-nen. Hiervon macht der deutsche Gesetzgeber bislang nur sehr eingeschränkt Gebrauch. So erlaubt das Arbeitszeitgesetz den Tarifvertragsparteien Ausnahmen nur dann, wenn die „Art der Arbeit“ es erfordert. Diese Einschränkung schreibt die Richtlinie nicht vor. Vielmehr brauchen die Tarifvertragsparteien mehr Freiheiten. Sie können besser als der Gesetzgeber passgenaue Ruhezeitregelungen für die jeweilige Branche vereinbaren, die dem Gesund-heitsschutz der Beschäftigten ausreichend Rechnung tragen.

Beispiel: Tarifvertragsparteien möchten für Ihre Brachen eine Verkürzung der Ruhezeit un-abhängig von der Art der Arbeit ermöglichen. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG wäre dies nur möglich, wenn dies die Art der Arbeit erfordert. Europarechtlich bedarf es aber dieser Ein-schränkung nicht.

Was die Bundesregierung plant

Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt derzeit nicht vor. Allerding hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zwischenzeitlich einen ersten Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorgelegt, der nun innerhalb der Bundesregierung abgestimmt werden soll.

Leider beschränkt sich das BMAS auf eine Regelung zur Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit. Die Chance, das veraltete Arbeitszeitgesetz grundlegend zu modernisieren, hat das BMAS bedauerlicherweise nicht ergriffen. Die Arbeitswelt hat sich jedoch grundlegend gewandelt. Deshalb gehört jetzt die Modernisierung des Arbeitszeitrechts ganz oben auf die Agenda. Wenn die Bundesregierung nun schon die Hand ans Arbeitszeitgesetz legt, sollte sie diese Gelegenheit nutzen, das Arbeitszeitrecht an die betrieblichen Realitäten einer modernen Arbeitswelt anzupassen und somit auf die Bedürfnisse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern eingehen.

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