Arbeitszeiterfassung: Moderne Arbeitsformen weiterhin ermöglichen!

Mit seiner Entscheidung vom 13. September 2022 hatte das Bundesarbeitsgericht für einen Paukenschlag gesorgt, der die Arbeitszeit wieder verstärkt in den Fokus gerückt hat. Danach sind Arbeitgeber bereits jetzt verpflichtet, die Arbeitszeiten der Beschäftigten zu erfassen. Die Entscheidung wirft eine Menge Einzelfragen auf. Wenn die Politik sich nun aufgefordert fühlt, hierzu gesetzliche Regelungen zu erlassen, sollten diese vor allem dazu beitragen, Klarheit zu schaffen. Sie sollte dabei aber nicht übers Ziel hinausschießen und weiterhin moderne Formen der Arbeit ermöglichen.
Was ist bisher gesetzlich geregelt?
Die Arbeitszeiterfassung ist bislang nur in bestimmten Fällen gesetzlich ausdrücklich geregelt:
- § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG: „Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen […].“
- Mindestlohn: Aufzeichnungspflichten bei geringfügig Beschäftigten
- Weitere branchenspezifische gesetzliche Regelungen (z.B. Straßentransport, Fleischwirtschaft…)
Wie soll die Arbeitszeiterfassung geregelt werden?
Bei der künftigen Regelung der Arbeitszeiterfassung sollte sorgfältig abgewogen werden zwischen einem effektiven Schutz der Arbeitnehmer einerseits und den bürokratischen Belastungen für Arbeitgeber und Beschäftigte andererseits. Systematisch richtig würden sich solche Regelungen zur Arbeitszeiterfassung in der spezialgesetzlichen Regelung des Arbeitszeitgesetzes wiederfinden.
Damit die Arbeitszeiterfassung auch künftig handhabbar bleibt, braucht es zum einen Ausnahmen von der Pflicht, zum anderen aber auch Spielräume bei der Umsetzung:
Ausnahmen von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung
- Abhängig von der jeweiligen Unternehmensgröße und Tätigkeit (z. B. Außendienst, mobile Arbeit) sollten differenzierte Formen der Aufzeichnung ermöglicht werden
- Die Pflicht sollte keine Anwendung auf leitende Angestellte finden
- Die Regelung darf nur die Pflicht erfassen, ein Arbeitszeiterfassungssystem bereitzustellen, nicht jedoch auch eine tatsächliche Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers
- Vertrauensarbeitszeit ohne Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit sollte weiterhin möglich bleiben:
Für eine einvernehmlich vereinbarte Vertrauensarbeit muss zwingend eine Ausnahme von einer minutengenauen Erfassung der Arbeitszeit geregelt werden. Innovative Arbeitszeitmodelle dürfen nicht behindert werden. Gerade hier würden die Beschäftigten in der freien Gestaltung ihrer Arbeitszeit unnötig und überbürokratisch eingeschränkt. Dabei gilt es auch zu bedenken, dass § 16 Abs. 2 ArbZG, der die Aufzeichnungspflicht für über 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeit vorsieht, bereits einen hinreichenden Arbeitsschutzrahmen bietet. - Bei Schichtplänen und vorab festgelegten Arbeitszeiten sollte es ausreichend sein, wenn nur etwaige Abweichungen von der vorgesehenen zur tatsächlichen Arbeitszeit gesondert dokumentiert werden.

Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung
- Eine elektronische Form der Zeiterfassung darf nicht zwingend vorgeschrieben werden. Auch eine händische Erfassung und die Delegation auf Beschäftigte müssen weiterhin möglich bleiben (mit ggf. Stichproben durch Arbeitgeber, aber eingeschränkte Kontrolle auf inhaltliche Richtigkeit).
- Wenn feste Pausen geregelt sind (z. B. auf Basis einer Betriebsvereinbarung), sollte eine pauschale Erfassung der Pausenzeiten möglich sein (kein Ein- und Ausstempeln erforderlich).
- Der Zeitpunkt der Aufzeichnung sollte flexibel gehandhabt werden (keine zu kurzen Aufzeichnungsfristen, angemessener Nachtragszeitraum muss möglich sein).
Was die Bundesregierung plant
Bislang liegt noch kein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Allerding hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zwischenzeitlich einen ersten Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorgelegt, der nun innerhalb der Bundesregierung abgestimmt werden soll. Leider beschränkt sich das BMAS auf eine Regelung zur Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit. Die Gelegenheit, das Arbeitszeitgesetz zu entstauben und an die moderne Arbeitswelt anzupassen, ergreift das BMAS mit dem vorgelegten Entwurf bedauerlicherweise nicht.
Die vom BMAS geplanten Regelungen im Einzelnen:
- Pflicht der Arbeitgeber, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen.
Ausnahmen: durch Tarifvertrag möglich für Arbeitnehmer,
- bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder
- nicht im Voraus festgelegt wird oder
- von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann.
- Wann: jeweils am Tag der Arbeitsleistung;
Ausnahmen: durch Tarifvertrag möglich spätestens aber am siebten Tag
- Wie: in elektronischer Form;
Ausnahmen:
- In Betrieben mit bis zu 10 Arbeitnehmern
- durch Tarifvertrag
- Nach Betriebsgröße gestaffelte Übergangsfristen von 1 Jahr bis zu 5 Jahren.
- Delegation an Arbeitnehmer oder Dritte möglich. Arbeitgeber bleibt aber verantwortlich.
- Bei vereinbarter Vertrauensarbeitszeit hat der Arbeitgeber durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlich vorgeschriebenen Höchstarbeits- sowie Ruhezeiten bekannt werden.
- Der Arbeitnehmer ist auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren und ihm muss eine Kopie in Papier- oder elektronischer Form ausgehändigt werden.
- Aufbewahrungsfrist der Aufzeichnungen: 2 Jahre.
Ein Verstoß gegen die Aufzeichnungs- sowie die Aufbewahrungspflicht ist bußgeldbewährt. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer nicht über seine aufgezeichneten Arbeitszeiten informiert oder ihm keine Kopie darüber ausgehändigt wird.
Bewertung:
Der Entwurf des BMAS sieht eine massive Ausweitung der Pflichten zur Arbeitszeiterfassung vor und geht über die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hinaus. Der Aufwand für Arbeitgeber und Beschäftigte erhöht sich weiter und führt zu noch weniger Flexibilität. Freiräume zur europarechtskonformen Regelung einer Arbeitszeiterfassung werden nicht genutzt.
Insbesondere die Art und Weise der Aufzeichnung muss völlig frei gewählt werden können. Auch die Pflicht, dass die Arbeitszeit jeweils täglich aufgezeichnet werden muss, sollte deutlich gelockert werden. Wir brauchen Regelungen, die die betriebliche Praxis im Auge behalten und praxisnahe, unbürokratische Lösungen ermöglichen. Das beinhaltet auch den Verzicht auf Regelungen, wo diese nicht zwingend erforderlich sind.
Zudem sollte im Zuge der Überarbeitung des ArbZG auch die dringend notwendige Modernisierung des Arbeitszeitrechts angegangen werden.