Nachweisgesetz / 10. Mai 2023

Digitalisierung ja – auch beim Nachweisgesetz!

Die Digitalisierung bringt bekanntlich viele Vorteile mit sich, können doch damit Daten beispielsweise schneller ausgetauscht, bearbeitet, archiviert und wiedergefunden werden. Darum lassen auch Politiker selten eine Gelegenheit aus, die Vorzüge der Digitalisierung zu preisen und mehr und schnellere Digitalisierung zu fordern. Nur, wenn es darum geht, Worten Taten folgen zu lassen, hapert es zuweilen gewaltig.

Ein trauriges Beispiel dafür liefert das 2022 überarbeitete sogenannte Nachweisgesetz (NachwG). Hier hat es der Gesetzgeber tatsächlich versäumt, die digitale Form der Nachweise, die zu erbringen sind, im Gesetz ausdrücklich zuzulassen. Beim Bürokratie- und Nachhaltigkeitscheck ist die Neuregelung damit durchgefallen. Denn für die betroffenen Arbeitgeber bedeutet die fehlende Digitalisierung eine enorme bürokratische Last – und der Umwelt schadet ein unnötiger Papierverbrauch obendrein.

Aus Sicht der Unternehmer Baden-Württemberg ist dieses Gesetz in einer Welt, die immer digitaler wird, völlig aus der Zeit gefallen. Deshalb appellieren sie dringend an den Gesetzgeber bzw. an das zuständige Bundesarbeitsministerium, dieses Gesetz noch einmal zu überarbeiten und endlich an die moderne, digitale Arbeitswelt, in der wir leben, anzupassen.

Was regelt das Nachweisgesetz?

Das Gesetz regelt, dass Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber einen Nachweis über die für sie wesentlichen Arbeitsbedingungen verlangen können. Zu diesen wesentlichen Bedingungen gehören z. B. Vereinbarungen über die Arbeitszeit, die Zusammensetzung des Arbeitsentgelts oder die Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs, aber z.B. auch alle Änderungen der wesentlichen Arbeitsbedingungen.

Vor allem unverständlich ist die vorgeschriebene Art und Weise, wie dieser Nachweis erbracht werden muss. Hier lässt das NachwG nämlich nur die Schriftform zu, also ausgedruckt und eigenhändig unterschrieben. Die elektronische Form, und insbesondere die reine Textform, sind ausdrücklich ausgeschlossen.

Mit der Überarbeitung 2022 hat die Bundesregierung das NachwG an die 2019 verabschiedete EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen angepasst. Doch ausgerechnet bei der Frage, wie der Nachweis zu erbringen ist, hat sie den Spielraum der EU-Richtlinie nicht genutzt. Denn dort ist die Möglichkeit der Textform ausdrücklich zugelassen (was andere EU-Staaten bereits genutzt haben).

Warum ist das Nachweisgesetz so nicht mehr zeitgemäß?

Die Arbeitswelt ist heute in vielen Bereichen weitgehend digitalisiert. So sind die Bewerbungs- und Einstellungsverfahren in vielen Firmen teils vollständig digitalisiert – von der Ausschreibung, über die Bewerbung bis hin zum Austausch des Vertrags. Vertragsinhalte werden in modernen, digitalen Mitarbeiterportalen verarbeitet. Das kommt auch der wachsenden Zahl von Beschäftigten, die mobil arbeiten, entgegen. Ein NachwG, das hier die Schriftform erzwingt, führt zwangsläufig zum Papierstau.

Das Festhalten an der Schriftform steht auch im krassen Widerspruch zu den Versprechen der Bundesregierung, die Digitalisierung ganz oben auf die Agenda zu setzen. Gleich an mehreren Stellen finden sich im Koalitionsvertrag der Ampelparteien entsprechende Aussagen. Auch für mehr Nachhaltigkeit soll die Digitalisierung sorgen. Seit Anfang 2023 müssen neue Gesetze sogar einen „Digitalcheck“ durchlaufen. Damit soll sichergestellt werden, dass in dem Gesetzesvorhaben die digitale Umsetzung gleich mitgedacht wurde – auch, um unnötige Bürokratie und unnötigen Aufwand zu vermeiden. Ein solcher Check hätte sicherlich auch dem NachwG mehr als gutgetan und dafür gesorgt, dass es so nicht in Kraft getreten wäre.

Wie werden Unternehmen und Umwelt belastet?

Auf den ersten Blick erscheint der Aufwand, den die erzwungene Schriftform im NachwG erzeugt, überschaubar: „ein paar Blatt Papier ausdrucken, unterschreiben und verschicken/zustellen“. Hier könnte man meinen, dass das „schon mal nebenher“ erledigt werden kann. So einfach ist das aber leider nicht.

Was für den einzelnen Fall zutreffen mag, wird jedoch beim Blick aufs Ganze schnell ein Problem. Betrachtet man etwa deutschlandweit die Vielzahl von jährlichen Einstellungen und Änderungen wesentlicher Vertragsbedingungen in den Unternehmen, wird schnell klar, dass tatsächlich nicht nur zusätzliches Personal, sondern auch sehr viel Blätter Papier benötigt werden.

Zwei Rechnungen verdeutlichen den Aufwand:

Bis zum Mond und zurück

  • In Deutschland gibt es rund 42 Millionen abhängig Beschäftigte.
  • Angenommen, für jeden dieser Beschäftigten müssen jährlich 20 Blatt Papier wegen des NachwG ausgedruckt werden.
  • Dann ergibt das 840 Millionen Blatt Papier pro Jahr.
  • Das entspricht einer Schlange DIN A4-Blätter von knapp 250.000 Kilometern.
  • In gut drei Jahren reicht diese Schlange von der Erde zum Mond und zurück.

Flächenrodung

  • Aus einer Fichte gewinnt man ca. 134.000 Blatt Papier (bei 25m Höhe, 40cm Durchmesser, ca. 670 kg Papier, 5 Gramm pro Blatt).
  • Auf einem Hektar Wald stehen rund 400 Fichten.
  • Damit werden für das Papier fürs NachwG jährlich rund 16 Hektar Wald geopfert.
  • Das entspricht gut 600 Tennisplätzen oder 22 Fußballplätzen pro Jahr.
  • In 10 Jahren fallen so 220 Fußballfelder oder 6.000 Tennisplätze Wald dem Schriftformerfordernis des NachwG zum Opfer.

Nachhaltigkeit sieht anders aus.

Wie sollte ein modernes Nachweisgesetz aussehen?

Ein modernes NachwG muss neben der Schriftform auch die Möglichkeit beinhalten, den Arbeitnehmern Nachweise in reiner Textform (z. B. per E-Mail) zur Verfügung zu stellen. Der bisherige Zwang zur Schriftform ist völlig unzureichend und nicht mehr zeitgemäß.

Nicht ausreichend wäre es, zusätzlich nur eine sog. qualifizierte elektronische Signatur zuzulassen. Denn ihre praktische Bedeutung ist aufgrund hoher Kosten sowie des technischen und bürokratischen Aufwands gering. Zudem ist es das Ziel des NachwG, Transparenz zu schaffen – und nicht, eine rechtlich bindende Wirkung zu entfalten, auf die die qualifiziert elektronische Signatur jedoch gerade abzielt.

Die Nachweispflicht auch durch die Textform zu erfüllen, bedeuten keineswegs, dass damit ein elektronischer Nachweis vorgeschrieben wäre (so wie es der Arbeitsminister Heil bei der Arbeitszeiterfassung plant). Es würde sich lediglich um eine Option handeln, die Arbeitgeber nutzen könnten, wenn den Arbeitnehmern die Nachweise hiermit zur Verfügung gestellt werden können – was in vielen Fällen unproblematisch möglich ist.

Deshalb:

  • Es ist an der Zeit, eine praktikable Politik für eine moderne Arbeitswelt zu machen.
  • Die Bundesregierung muss das NachwG überarbeiten und an die moderne Arbeitswelt anpassen.
  • Dort, wo der Beschäftigte in der Lage ist, mit seinem Arbeitgeber digital zu kommunizieren, muss die reine Textform ermöglicht werden.
  • An analoger Kommunikation als alleinigem Mittel festzuhalten, ist rückwärtsgewandt, nicht nachhaltig und blockiert den digitalen Fortschritt.
  • Eine solche rückwärtsgewandte Politik kann sich Deutschland nicht (mehr) leisten.